Neues Jahr, neues Glück oder größere und kleinere Abschiede

 

Der Start ins neue Jahr ist diesmal anders als bisher. Ich habe mich in den letzten Wochen verabschiedet, bewusst oder unbewusst habe ich es über Jahre hinweg bereits getan. Es ist ein Abschied von einer Hoffnung, einer Idee, einem Wunsch oder auch einem angestrebten Ziel. Bewusst oder unbewusst wusste ich, dass dieser Zeitpunkt kommen würde. Dass er so rasch kommen würde, hätte ich mir letztes Jahr noch nicht gedacht.

5 kleine Narben an meinem Bauch erzählen die Geschichte, die mich seit vielen Jahren, mittlerweile Jahrzehnten begleitet. Die Geschichte von Schmerzen, Symptomen und Zusammenhängen auf meinen ganzen Körper, hat mich seit langem beschäftigt. Die Polarität zwischen einem mit so viel Mütterlichkeit und Weiblichkeit assoziierten Organ wie der Gebärmutter und all dem Schmerz, den sie auslösen kann, wenn sie erkrankt ist. Einmal im Monat eine Woche lang wehenartige Schmerzen, einmal im Monat eine Woche lang ein Kind gebären. Das ist zu viel als dass ich es noch ertragen konnte. Es war letzten Endes eine wichtige Entscheidung für mich und  mein Wohlbefinden und gegen einen lange gehegten Wunsch und Traum nach Kindern. Das Leben kommt oft anders als geplant, aber ich kann trotzdem jederzeit die Fäden ziehen wie ich damit umgehen mag.

Und obwohl das Thema meiner erkrankten Gebärmutter mich schon lange beschäftigt und der Abschied von Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit über Etappen und Jahre hinweg immer präsent war, ist der bewusste Schritt dies zu vollziehen nochmals ein anderer. Es sind Gefühle von Erleichterung, dass kein Schmerz mehr da ist aber auch die bewusste Erkenntnis, dass es das nun tatsächlich war mit der Wunschvorstellung der eigenen Kinder.

Als hätte ich es bereits gewusst habe ich bereits in den letzten Jahren Schritte gesetzt in eine berufliche sehr auf Kinder ausgerichtete Arbeit. Nun ist es natürlich nicht dasselbe ob man mit eigenen Kindern oder den Kindern anderer Mütter zusammen ist und spielt, Zeit verbringt und Freude und andere Gefühle teilt. Aber es ist trotzdem ein reichhaltiger Regenbogen an Farben und Facetten, der mir sonst in meinem Leben versagt geblieben wäre.

Die Entscheidung gegen meine Gebärmutter ist auch eine Entscheidung für mich und meine Gesundheit und mein Wohlbefinden. Es ist eine Entscheidung gut auf mich zu schauen, wie eine Mutter auch auf ihr Kind schauen würde.

 

3.1.2023

 

 Hormone und Psyche 

 

An einem wunderschönen frühlingshaften Sonntagmorgen möchte ich mich mit dem Thema der Hormone und Psyche beschäftigen. Doch warum eigentlich?

Ich kann mich erinnern, vor ungefähr 3 Jahren, gab es keine wunderschönen Tage, weder morgens, noch abends, noch zu einer anderen Zeit. Diagnostiziert wurde mir ein Burnout, eine Depression, vielleicht beides, evtl noch mit manischen Anteilen.

Das ist ein Thema, das ich hier wieder aufgreifen möchte. Viele Frauen Mitte 40 bekommen plötzlich diese Diagnose. Manche hatten eine Vorlaufzeit, aber es trifft auf viele zu, dass sie auf einmal müde sind, nicht aufkommen, viel weinen, überhaupt recht labil sind. Eine klassische Erklärung der Ärzte ist die Mid-Life-Crisis, möglicherweise sind die Kinder ausgezogen und es gibt etliche Umstellungen im Leben.

Doch was passiert denn noch in dieser Zeitspanne? Schon mal was von den Wechseljahren gehört? Zuerst sinkt das Progesteron, dann das Estradiol, das Estriol ist vermutlich auch schon tief. Hormone haben einen massiven Einfluss auf die Psyche! Wenn ich plötzlich zu weinen beginne, ohne dass es einen Auslöser gibt, könnte es hilfreich sein die Hormone abzuklären. Es sind nicht erst die berühmten Wallungen, an dem man die Wechseljahre erkennt, es beginnt schon früher.

Ängste, Panikattacken und co sind möglicherweise hormonell bedingt. Auch Hashimoto Thyreoiditis kann sie auslösen. Das haben Sie nicht gewusst? Damit sind Sie nicht alleine! Auch viele Ärzte wissen das nicht. Warum ich es weiß? Weil ich mich damit beschäftigen musste, weil es die Ärzte nicht wussten! Ich habe nämlich beides und weiß, dass mit der richtigen Hormoneinstellung viele Symptome der Vergangenheit angehören. Dieses Thema sollte kein Tabuthema sein sondern es ist essentiell wichtig und notwendig Frauen darüber aufzuklären, dass ihre psychischen Probleme vielleicht eher hormonelle Probleme sind. Und dass es ganz normal ist, diese Themen zu haben und darüber zu sprechen! Und sie im Idealfall sinnvoll zu lösen!

 

24.4.2022

 

"Ich treff mich jetzt mit einem Typen und der hat begonnen mich zu schlagen..."

 

Eigentlich kenne ich diese Szenarien bereits und noch immer und jedesmal verkrampft es mir den Magen. Es ist ein Teil meiner therapeutischen Wirklichkeit, an den ich mich einfach nicht gewöhnen will.

Bereits seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit Opferschutz, nicht nur mit Gewalt gegen Frauen sondern mit Gewalt von mitunter sadistischen Persönlichkeiten gegenüber Schutzbefohlenen. Menschen, die zum Teil die eigenen Traumatisierungen nicht adäquat verarbeiten konnten und sogenannte Täterintrojekte entwickelten und Ausleben.

Nein, es ist kein Kavaliersdelikt. Nein, es ist nicht die eigene Schuld. Nein, das Gegenüber hat nichts falsch gemacht, wenn es mir von gewalttätigen Übergriffen erzählt. Leider ist dies oft der schwierigste Teil, das Gefühl der Schuld bzw das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben, diesen Personen zu nehmen. Ich will sie nicht Opfer nennen und auch nicht Geschädigte.

Es sind die Personen, die jemanden mit einem inadäquaten Gewaltmuster in ihrem Leben haben oder hatten. Es sind diejenigen, die oftmals keine Idee davon haben, wie ein gebührliches Verhalten im Konflikt aussieht, weil sie nie etwas anderes kennen gelernt haben.

Der Punkt an dem sich der wichtigste Teil abspielt, ist das Zuhören und nicht Abwerten. Das Feedback selbst schuld zu sein, wenn man keine Konsequenzen zieht, ist wie Salz in offene Wunden zu streuen! Zuhören, Ernst nehmen und an Professionisten wie spezifische Beratungsstellen weiterzuleiten und eine Psychotherapie zu starten, sind die gebührlichen Hilfestellungen!

Hören Sie nicht weg! Seien Sie achtsam mit dem Gegenüber und vermitteln ein offenes Ohr und Bereitschaft da zu sein. Es ist oft eine ungeahnte Qualität in einem Leben, in dem dies leider (noch) nicht allzu oft erfahren werden dürfte!

 

22.2.22

 

Über die Sinnhaftigkeit des (Nicht-)Lebens der Gefühle

 

Vor einiger Zeit war ich in der Situation einer Kollegin und ihrem Plädoyer für das Ausleben und Zulassen der eigenen Gefühle zu folgen. Ich saß einige Reihen weiter und machte mir meine Gedanken dazu und vor allem warum es auch absolut gut und wichtig sein kann, eben diese eigenen Gefühle nicht zu leben.

Grundsätzlich ist es zunächst notwendig ein Gespür für sich und seine eigene Emotionalität zu haben, um diese überhaupt erkennen und benennen zu können. Viele Menschen sind darin wohl nicht wirklich geübt, es wurde ihnen nie beigebracht und außerdem vom Umfeld nicht gefördert.

Ausgehend von der Annahme der Psychosomatik, dass unterdrückte bzw. nicht gelebte Gefühle sich auf einer körperlichen Ebene ausdrücken können, ist die Annahme der Kollegin nicht von der Hand zu weisen. Auch die Theorie, dass Depression eigentlich eine Manifestation unterdrückter Aggression sein soll, untermauert dies.

Ich wage zu behaupten, dass es einige Situationen im Leben gibt, in denen es jedoch essentiell wichtig und vor allem existenziell erlebt notwendig ist, seine Gefühle nicht spüren zu müssen. Dementsprechend kann und soll nicht gefühlt werden, was eine Überforderung für die Person wäre. Damit ist die Fähigkeit zur Dissoziation gemeint, die wir alle in banalen Situationen oder aber komplex traumatisierte Personen nach Trauma anwenden. Sei es schlicht die Fähigkeit Erlebtes zu "vergessen" oder wegzuspalten, es ist eine basale Fähigkeit die dem Menschen zu eigen ist.

Das Erleben oder auch Er-Innern bestimmter Situationen käme einer massiven Überforderung gleich. Somit sichert die Dissoziationsfähigkeit mit schweren Traumatisierungen weiterzuleben bzw am Leben zu bleiben.

Eine klassische Fähigkeit zur Dissoziation haben wir alle: wir müssen uns nicht immer aller Gefühle bewusst sein! Wir können uns bewusst mit ihnen auseinander setzen, wenn wir dies wollen und können. Manchmal ist es jedoch einfach auch nicht angebracht und da bedienen wir uns der Möglichkeit der Wegspaltung um zB der eigenen Arbeit nachgehen zu können ohne dem Chef die eigene Gefühlslage zu präsentieren oder als Jungmama trotz massiver Übermüdung dem schreienden Baby die Brust zu geben ohne ihm zu erklären, wie die Befindlichkeit mitten in der Nacht bei Schlafmangel ist.

Ich spreche damit die Fähigkeit des "Funktionierens" an, die einen klaren Rahmen in einem oftmals schwierigen Alltag darstellen kann. Wenn alles zusammen fällt, kann dies sehr Halt gebend sein und das Zulassen der Gefühle käme einem Zerfließen und einer dementsprechenden Destabilisierung gleich.

Fazit aus meiner Sicht ist die Wichtigkeit der Differenzierung, in welcher Situation authentische Gefühlsäußerungen angebracht sind und wann nicht und außerdem der Dissoziationsfähigkeit ihre Berechtigung zu lassen. Unsere Psyche ist oftmals viel klüger als unser Verstand zugeben möchte.

19.2.2022

 

Alles neu anders...

 

Es gibt Gegebenheiten, an die man sich eigentlich nicht unbedingt gewöhnen möchte. Die derzeitige Situation zählt für mich dazu. Oft ist es lästig, die Maske zu tragen, teilweise unmöglich darauf zu achten, dass der Abstand gehalten wird. Es ist auch gar nicht so einfach sich in den Tätigkeiten reglementieren und beschneiden zu lassen, die einem das persönliche Freiheitsempfinden auferlegt. Aber ist es das wert?

Das ist eine Frage, die mich persönlich, privat als auch beruflich oftmals beschäftigt. Kontroverse Diskussionen, was ist überzogen, was ist angebracht, ist es eine Schikane, ist es ein Eingriff in die persönliche Freiheit oder versucht gar Bill Gates uns alle mit eingepflanzten Chips oder einer Corona-Impfung sich untertan zu machen?

Die Polaritäten in dieser Frage steigern sich und es fällt mir vor allem auch in der Praxis auf, dass die Positionen sich verhärten. Jeder meint, er sei im Recht und beharrt auf seiner Meinung. Aber ist das nicht das Grundübel in der gesamten Situation?

Seien es die unterwürfigen Maskenträger, die sich anpassen oder die Aluhut-Vertretung, wenn man es überspitzt formulieren will, die im Recht sind, es sind einfach unterschiedliche Auslegungen der derzeitigen Situation. Häufig werde ich zu meiner Position befragt, privat als auch beruflich.

Grundsätzlich sehe ich es als eine interessante Situation an, wie die einen bereit sind sich anzupassen und die anderen mit aller Vehemenz dagegen sind. Das sind typische Verhaltensweisen, wie wir auf Veränderungen reagieren. Auch das Prinzip der Autonomie kommt zum Tragen: ich will mir in meine Lebensgestaltung nicht dreinreden lassen. Sei es wie es sei, wir sind immer wieder in unserem Leben damit konfrontiert, dass uns Dinge und Situationen unterkommen, die wir uns so nicht gewünscht haben. Es ist immer sinnvoll zu unterscheiden, was wir anzunehmen haben und was wir ändern können. In Situationen, die wir persönlich nicht beeinflussen können, taucht oft ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit auf. Sehr gängig ist dann die Strategie des Dagegen-Ankämpfens, weil diese dann zumindest ein Gefühl zur Gestaltungsmöglichkeit der Situation vermittelt. Wichtig wäre in dieser Situation zu erkennen, inwiefern die aktive Gestaltungsmöglichkeit limitiert ist und aber eine innerlich veränderte  Einstellung zur Situation gelebt werden kann und soll. Die Modifizierung der Haltung zu etwas Unangenehmen im Außen ist aus meiner Sicht das Ziel in dieser Situation, zumal uns Einzelpersonen keine Möglichkeit besteht Corona weltweit zu beeinflussen.

Zudem ist es natürlich auch eine wesentliche Thematik, inwieweit Verantwortung für sich und für die Gemeinschaft übernommen wird. Auch hier zeigt sich eine Polarität zwischen dem Wunsch nach Autonomie und dem Wunsch nach Gemeinschaft und Beziehung. Gerade jetzt wird das Spannungsfeld sehr deutlich: bin ich mir in meinem Wunsch nach freiem Entscheiden wichtiger als die Gesundheit und Unversehrtheit im Kollektiv?

Eine spannende Situation, die uns alle im Einzelnen als auch im Gesamt herausfordert. Ich wünsche uns allen viel Geduld, Durchhaltevermögen als auch Toleranz für anders Denkende dafür! 

 

3.10.2020

 

Umgang mit der veränderten Situation

 

Zugegebenermaßen ist in meinem Leben in letzter Zeit so viel los gewesen, dass ich mich nicht überwiegend mit Corona beschäftigen konnte. Natürlich macht man/frau Augen und Ohren auf, um zu wissen was wann und wo erlaubt ist, um nicht in irgendwelche Fallen reinzutappen oder aber gar was Illegales zu tun.

Durch mein Arbeitsfeld bin ich gut ausgefüllt in beiden beruflichen Bereichen: Als Psychotherapeutin bin ich zum einen in der Praxis aktiv, ich arbeite auch für die ehrenamtliche Psychotherapie-Helpline und habe ab sofort auch Kassenplätze zur Verfügung. In der anderen Arbeit, der mobilen Wohnbegleitung, werden auch schon wieder Außentermine wahrgenommen und ich begleite zu Ärzten, gehe mit den KundInnen spazieren und was eben sonst notwendig und betreuungsbedürftig ist.

So werke ich nun vor mich hin wohl darüber bewusst, was mir in dieser Zeit fehlt - vor allem die Sozialkontakte und das Singen - aber vor allem mit dem Fokus in dem, was ich jetzt konkret tun kann. Aus meiner Perspektive ist etwas des Wichtigsten überhaupt in einer derartig einschneidenden Änderung unseres Lebens den Fokus auf das zu richten wo ich handlungsfähig bin, um nicht in eine Ohnmacht zu gelangen. Dort wo ich bewusst etwas gestalten kann und aktiv sein kann, dort ist auch Sinn erfahrbar. So wie Frankl ja sagt, ist eines der höchsten Ziele des Menschen Sinn zu erfahren.

Unabhängig von Frankl ist es auch eine gelebte Erfahrung, die ich jeden Tag machen kann. Ich kann mich über Entscheidungen von Politikern, Aussagen von Wissenschaftern und was nun falsch oder richtig ist, woher das Virus kommt oder nicht, stundenlang beschäftigen. Die Frage ist nur: wofür ist es gut? Was bringt es mir? Löst es die Situation? Nein, für mich nicht. Ich halte mich aus diesen Situationen raus. Manches nehme ich stirnrunzelnd zur Kenntnis, wenn es meinem Verständnis von Logik nicht entspricht. Teilweise spende ich Freunden oder Bekannten Trost oder schenke ihnen ein offenes Ohr, wenn sie in dieser sehr herausfordernden Zeit nicht weiter wissen, sich ärgern oder hoffnungslos sind. Das ist das was ich tun mag, für mich und für andere und gerade in dieser Zeit zeigt sich mir, dass mein Beruf eine sehr wichtige Haltung von mir zeigt: Dass es wichtig ist in sozialen Gefügen da zu sein, dass es unwesentlich wer im Recht oder im Unrecht ist. Wir sitzen alle im selben Boot und wir streben alle nach Glück, so würde es die buddhistische Lehre formulieren. Und in diesem Sinne sind wir auch alle miteinander verbunden. Wir können uns also in dieser Zeit bei allem Ärger und Unbill immer wieder vor Augen führen, dass wir in all dem nicht alleine sind. Das ist quasi meine Quintessenz: Das wichtigste sind und bleiben nach wie vor die Beziehungen und unser soziales Gefüge und genau dieses sollten wir gerade jetzt stärken.

 

29.4.2020

 

"Arbeitskraft für kritische Infrastruktur"

 

Ich bin eine sogenannte Arbeitskraft für kritische Infrastruktur in doppelter Hinsicht. Ich habe es mir zum Ziel gemacht Menschen zu unterstützen, die Hilfe brauchen. Ich habe bereits mit 16 Jahren meiner Mutter erklärt, dass ich Psychotherapeutin werde. Als sie mich fragte, warum ich gerade diesen Beruf wählen mag und dass da ja nur Menschen kommen, die Probleme hätten, sagte ich kurzerhand: "Weil ich es kann." Eine starke Ansage für eine 16-jährige würde ich heute so sagen.

Zum anderen arbeite ich in der mobilen Wohnbegleitung, die sich in den letzten Tagen allerdings in eine stationäre Wohnbegleitung gewandelt hat. In dieser Zeitspanne wurde eine neue Position geschaffen, die ich interimsmäßig übernommen habe. Ich würde es mal als Schnittstelle zwischen Leitung und KollegInnen bezeichnen. Ich sitze als einzige im Büro, kümmere mich um Datenbank, Administratives und nebenbei um die Blumen und den Garten. Ich bin froh, dass ich diese Aufgabe habe. Ich habe dadurch einen geregelten Arbeitstag von Dienstag bis Freitag. Ich fahre mit dem Auto und sitze alleine im Büro. Ich bin auf der sicheren Seite. Ich kann hinaus gehen in den Garten, jäten, Blumen gießen, mit den Tauben plaudern, was mir so einfällt. 

In beiden Bereichen bin ich mit Menschen konfrontiert, die Schwierigkeiten in ihrem Leben haben, sei es durch psychische Belastungen, erlebte Traumata oder eben auch durch kognitive Beeinträchtigungen. Dieser Arbeitsbereich ist ein überaus wichtiger, wie ich finde, grundsätzlich und nicht nur jetzt. Ich weiß, dass ich für manche Personen so etwas wie ein "Anker" in ihrem Leben bin. Der fixe Termin einmal in der Woche ist für einige Psychotherapie-KlientInnen ganz etwas wesentliches. Diese Möglichkeit darf in dieser Zeitspanne nicht wegfallen. Aus diesem Grund arbeite ich derzeit überwiegend via Skype als Psychotherapeutin. 

Privat habe ich natürlich sehr wohl festgestellt, dass diese Situation auch etwas mit mir macht. Auch ich bin ein Mensch, ich bin nicht nur Psychotherapeutin und Sozialpädagogin sondern vor allem Mensch. Ich hatte vor allem am Anfang sehr viel Angst, als es hieß "ich kann nicht mehr hinaus". Ich lasse mich ungerne in meiner Freiheit beschneiden, vielleicht noch weniger als andere Menschen. Wenn mir jemand sagt, ich darf etwas nicht tun, lehne ich mich prinzipiell dagegen auf. Es ist gleichgültig ob dies meine Eltern, mein Chef oder der Chorleiter sind. Es ist ein Grundprinzip meiner Persönlichkeit: Ich will Autonomie! Trotzdem ist mir die Notwendigkeit bewusst geworden, in dieser Zeitspanne die eigenen Bedürfnisse ein stückweit nach hinten zu stellen und im Sinne einer Gemeinschaft zu agieren. Ich möchte hier ganz bewusst und präsent für Menschen zur Verfügung stehen, indem ich meine Erfahrungen teile und Tipps gebe.

In diesem Sinne möchte ich genau jetzt und hier ein paar ganz praktische Tipps geben, um möglichst gut mit dieser Situation umgehen zu können. Diese sind selbst erprobt und haben mir in den letzten Tagen massiv geholfen, gut bei mir zu bleiben und auch meine Arbeit tun zu können. Wie soll ich andere Menschen stützen, wenn es mir selber nicht gut geht oder ich Ängste habe? Das ist illusorisch. Das heißt, dass ich vor allem auch gut auf mich schauen muss.

- Tipp 1: be informed but not overinformed! Es ist gut sich zu informieren, welche Regelungen getroffen wurden, um sich diesen anzupassen, um keine Pönalen zahlen zu müssen, falls man etwas unwissentlich falsch macht. Es ist aber nicht gut sich den ganzen Tag Nachrichten und Infos reinzuziehen. Zu viel negative Informationen belasten! Bitte selektiv sein! Ein Tipp dazu von meiner Seite ist es, die Infos wirklich klein zu portionieren: ich lese zB morgens die Headlines und versuche vor allem abends keine Nachrichten zu schauen. Dies hat meinen Schlaf verbessert, ich bin deutlich entspannter.

- Tipp 2: Such dir eine Aufgabe! Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich fixe Tagesstrukturen durch meine Tätigkeit im Büro habe. Ich habe mich außerdem für die ehrenamtliche Helpline des ÖBVP (Österr. Bundesverband für Psychotherapie) angemeldet. Es ist gut etwas (Gutes) zu tun und sich für etwas engagieren zu können. Es kann aber auch einfach nur das Ziel sein, einen Frühjahrsputz zu machen, Sachen entrümpeln, ein neues Hobby zu starten wie zb kochen zu beginnen, alles mögliche was dir so einfällt

- Tipp 3: Stay in touch: Nutze die Möglichkeit über die vielfältigen Technologien in Kontakt mit Freunden, Verwandten und Bekannten zu sein. Wir sind dankbar in der Lage zu sein, uns jederzeit miteinander vernetzen zu können. Gestern noch habe ich mit meiner tamilischen Freundin in Sri Lanka gewhatsapped, die nach einem Auslandsaufenthalt in Indien nun in Quarantäne ist. 

- Tipp 4: Wir sitzen alle im selben Boot: Das Virus kann uns alle erwischen, wir wissen nicht wer es vielleicht unwissentlich trägt und verbreitet. Wir können daran erkranken, es können Menschen bekommen, die uns am Herzen liegen. Meine Cousine und ihre Familie hatten es. Es ist herum, wir wissen nicht wo es herkommt. Dies ist jedoch nicht gedacht um nun in Angst und Panik es hinter jeder Ecke lauern zu sehen, sondern zu erkennen, dass wir alle in der selben Situation stecken. Niemand möchte krank werden oder sterben. Es ist eine großartige Chance sich miteinander zu solidarisieren und für einander da zu sein und im Sinne einer Gemeinschaft zu agieren. 

- Tipp 5: Bewegung: Sei es das Couch-Workout für Faule, der Spaziergang mit 1m Abstand oder die Jogging-Runde mit selbiger Bedingung. Es ist unerlässlich, dass wir Stress abbauen. Angst birgt Stress und dieser macht uns unleidlich. Vor allem wenn wir in engen Haushalten zu mehrt wohnen, kann sich die Aggression stauen und es könnte zu vermehrten Konflikten kommen. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig sich Raum zu verschaffen und raus zu gehen, man kann das ja auch alleine machen. Bewegung ist auch für unser Immunsystem gut, um den Kreislauf in Schwung zu halten und einfach auch um frische Luft zu atmen und den Frühling zu erschnuppern!

Wir sollten nicht vergessen, dass jede Krise letztlich eine Chance birgt. Auch wenn es noch so ungemütlich ist derzeit, können wir sicher sehr viel aus dieser Situation mitnehmen. Und diese Phase kann uns helfen emotional näher zusammenzurücken, obwohl wir in einer Distanz zueinander leben sollen. 

21.3.20

 

"Die hot jo an Kläscher in der Marün" - Corona für Risikogruppen

 

Der Wiener Charme ist manchmal unwiderstehlich. Letztens am Gehsteig rief mir eine Dame hinterher "Die hot jo an Kläscher in der Marün. Die loßt 5 Meter Abstand!" 

Offenbar hat mein Verhalten Irritation ausgelöst. Möglicherweise sind sich manche Menschen nicht darüber im Klaren dass es Risikogruppen gibt. Vor ein paar Tagen wurde mir bewusst, dass ich dazu gehöre. Ich habe Asthma und mindestens zwei verschiedene Autoimmunerkrankungen, was jetzt nicht so die optimale Voraussetzung in Zeiten wie diesen ist. Ich sehe das aus Grund verantwortungsvoll auf mich und meine Mitmenschen zu achten. Ich muss nicht wirklich ausprobieren, wie ein Verlauf bei mir aussieht, auch wenn ich weiß dass es krankere Menschen als mich gibt. Es gibt Dinge, die will man nicht unbedingt erleben müssen. 

Ich halte Abstand. Ich wasche mir die Hände, regelmäßig. Ich habe mich schon gefragt, ob ich mir in dieser Lebensphase womöglich einen Waschzwang "aufreiße". Als Psychotherapeutin ist da ja eine gewisse Sensibilisierung vorhanden. Einstweilen hab ich es im Griff. Ich bin nicht geprägt von Angst und auch mein Alltag ist nicht geprägt von Angst. Meine größere Schwierigkeit ist es nicht frei in Kontakt treten zu können wie ich mir das vorstellen würde. Wie leben wir unsere privaten Beziehungen, wie gehen wir uns mit nahen Personen, die uns am Herzen liegen, ohne uns selber zu gefährden oder diese zu gefährden. 

Als Arbeitskraft kritischer Infrastruktur - so nennt sich meine Tätigkeit nun seit ein paar Tagen - erfordert es eine besondere Sensibilität im Kontakt mit Klientel. Ich arbeite überwiegend zuhause als Skype- oder Telefontherapeutin oder im Büro und vernetze zwischen KollegInnen. Aber es gibt nach wie vor Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen eine in vivo-Therapie wünschen. So ist es mir eine wichtige Aufgabe geworden den Spagat zwischen den Bedürfnissen der anderen als auch den meinen zu schaffen: eine meiner Person nicht entsprechende distanzierte Begrüßung, ein Zurücktreten in den Raum, damit genügend Abstand gehalten werden kann. Es herrscht immer mindestens 1 Meter Abstand. Diese Kriterien sind unerlässlich. Aus diesem Grund finden bei mir auch keine kindertherapeutischen Interventionen statt. Es ist nicht möglich mit einem Kind zu arbeiten und mindestens 1 Meter Abstand zu halten. Auch wenn es vielleicht gerade für Kinder besonders wichtig wäre in dieser Zeit therapeutische Unterstützung zu bekommen, muss ich schweren Herzens "Nein" dazu sagen.

"Die hot jo an Kläscher in der Marün"... Ist die Frage, ob wir das Handeln der anderen so einfach (ab)werten sollen. Ich hoffe, dass dieser herausfordernde Zeit vor allem für eine Sache gut und wichtig ist: Im Miteinander wertschätzend und respektvoll umzugehen und auf einander einzugehen. Das wäre mein Wunsch an uns alle miteinander! 

19.3.20

Wenn alles auf einmal anders ist...

 

"Oh mein Gott, wie soll ich das aushalten? Eingesperrt in meiner Wohnung...?!" Panik stieg in mir hoch, als ich von den Maßnahmen der Regierung erfahren habe. Wie soll das gehen? Das kann doch niemand allen Ernstes von mir verlangen, dass ich meine persönliche Freiheit einschränke, das kann ich nicht aushalten!

Puh, das ist sehr herausfordernd! Meine Schilddrüse hat den Stress gleich mal mit einem Schub quittiert, Temperatur rauf und runter, Schwitzen und Schüttelfrost abwechselnd, Übelkeit, wache Nächte, Unruhezustände gemischt mit Angst und Panik und das dann noch dazu alleine in meiner Wohnung, na bravo! Das Gefühl des Isoliert-Seins ist ganz schön heftig auf mich niedergeprasselt und die Sorge, wie lange ich das aushalten kann, hat es nicht unbedingt vereinfacht.

All das, was ich in meiner langjährigen Ausbildung gelernt habe, schien ganz weit weg zu sein und hatte auch keinerlei Wirkung. Ich habe wirklich einiges ausprobiert. Was kann ich tun? Und ich tat das, was mir am nächsten liegt: Ich trat in Kontakt mit den Menschen, die mir nahe sind, auch wenn sie derzeit geographisch nicht erreichbar sind. Als erstes rief ich meine Mutter an, zu der ich nicht immer ein einfaches Verhältnis hatte, die mir aber in den letzten Jahren sehr deutlich gezeigt hat, dass sie für mich da ist, wenn alles zusammenbricht. Auch diesmal war sie da. 

Es ist gut zu wissen, wer in unserem Leben für uns wichtig ist und mit wem wir jederzeit in Kontakt treten können. Gerade in dieser Zeit ist es offensichtlich, wen wir nicht missen wollen, wem wir uns mitteilen wollen, für wen wir da sein wollen! Da ist es meine Familie in Graz: Meine Cousine und ihre Familie sind seit ca. 1 Woche isoliert, weil ihr Mann Schifahren in Ischgl war. Sie wurden positiv auf Corona getestet. Es ist meine Freundin in Vorarlberg, die ich selten sehe, mit der ich aber sehr eng verbunden bin schon seit meiner Schulzeit: Ich sie ist isoliert mit ihrer Familie, da ein Kollege in St. Anton war. Es ist meine Schwester in Podgorica, die mit ihrem Partner dort "gestrandet" ist und nicht weiß, wann sie zurückreisen kann, da der Flughafen gesperrt ist. 

In all dem sind sie mir sehr nahe. Die Angst und Sorge um sie als auch um mich hat sich bei mir in den letzten Tagen relativiert, weil mir einfach deutlich wurde, dass das was in mir wirklich spricht die Liebe und das Mitgefühl für sie ist und vor allem die Verbundenheit. Wir sitzen alle im selben Boot und diese Situation birgt viele Herausforderungen, aber auch viele Chancen: Nehmt sie am Schopf und geht in den Kontakt mit den Menschen, die euch wichtig sind! Wir sind glücklich in der Situation zu sein, dass wir technologisch leicht vernetzbar sind und jederzeit in Kontakt treten können. Es ist auch die Situation zu überlegen, was ist mir wichtig und womit will ich mich beschäftigen und in dem letztlich vielleicht auch die Möglichkeit zu erkennen, dass wir doch für manches und für manche dankbar sein können!

Ich sehe diese Zeit als große Möglichkeit hier vielleicht auch wieder mehr zu schreiben, meine Gedanken zu teilen und Impulse zu verbreiten, die im Idealfall auch anderen weiterhelfen können: Weil es letztlich auch darum geht für mich, das füreinander da sein! 

18.3.20 

 

Hashi-Was? - oder 7 Monate später...

Dieser Beitrag ist ein sehr persönlicher und dementsprechend mir sehr wichtiger... Wichtig ist mir das Thema darum, weil es mir ein Anliegen ist Aufklärungsarbeit zu leisten und vor allem als selbst betroffene Frau und Psychotherapeutin Informationen weiterzugeben. Ich sehe es als meine besonders wichtige Aufgabe in meinem Beruf körperliche und psychische Erkrankungen von einander zu unterscheiden und dementsprechend auch richtig zu behandeln genauso wie ich mir das von Ärzten wünsche.

Ich gehe ein paar Monate zurück an den Beginn der ganzen "Geschichte". Juni 2018, schweißgebadete Nächte, häufiges Aufwachen, Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Getriebensein, Nervosität und Unruhe und diffuse Angstsymptome. Als seit Jahren achtsamkeitspraktizierende Frau und Psychotherapeutin will ich natürlich den Symptomen nachgehen und lande beim Allgemeinmediziner, der mir einfach ein Blutdruckmittel in die Hand drückt. Das soll ich nehmen. Ein großes Blutbild zeigt wenig Aufschlussreiches. Der auferlegte Krankenstand bringt nicht das erwünschte Ergebnis und der Schlaf bleibt eine Qual, nicht erholsam, mit wahnsinnigen Hitzen und Schweißausbrüchen... Antidepressiva sollen helfen... und diese halfen auch nicht. Der Gang von Arzt zu Arzt, von Untersuchung zu Untersuchung. Diagnosen von "Burn-out" über "Depression" und Fragen wie "haben Sie auch manische Phasen?" hin zu Panikattacken und Angststörungen oder beides in Kombination oder alles miteinander gaben sich die Klinke in die Hand.

Auf meine eigene Idee hin wurde dann einmal ein Hormonstatus gemacht, der dann darauf hindeutete, dass da einiges nicht passt. Allerdings hat der behandelnde Arzt (noch) nicht durchschaut, worum es dabei tatsächlich ging und hat mich dann auch noch falsch behandelt und das hormonelle Ungleichgewicht auch noch forciert. Wochen später dann ein Hinweis einer Tante von mir doch einmal die Schilddrüse und zwar alle Werte bestimmen zu lassen. Die Schilddrüsenwerte waren bei mir immer eher hoch, aber im "Normbereich". Diesmal waren sie allerdings unwahrscheinlich niedrig und irgendwelche Antikörperwerte haben hoch ausgeschlagen. Auch das erschien noch niemandem als der Rede wert zu agieren oder das in irgendeiner Form zu behandeln. Warum eigentlich nicht? "Sie haben eine gute Diagnose, andere in der Familie haben nichts mit der Schilddrüse. Das wird sich schon wieder beruhigen..." Wochen später ist es noch nicht besser. "Sie müssen warten. Da kann man daweil nichts machen." Wie lange soll man eigentlich warten, wenn es einem nicht gut geht? Und wenn man nicht schlafen kann? Wenn man abwechselnd nervös-getrieben, von diffusen Ängsten geplagt wird, nicht schlafen kann, Würgegefühle hat und allerhand andere Symptome hat, die alles andere als angenehm sind?

Mittlerweile 7 Monate später, einige Ärzte danach, bin ich bei einem Spezialisten, einem Endokrinologen gelandet, der mich zum ersten Mal mit niedrig dosiertem Schilddrüsenhormon einzustellen versucht. Haben Sie gewusst, dass es Usus ist vor Zuweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus oder einer Reha die TSH-Werte (Schilddrüsenwerte) zu überprüfen, um einen organischen Hintergrund von Depression, "Burnout", Angsterkrankung oder Panikstörung zu überprüfen? Ich wusste es, weil ich in diesem Kontext selber tätig war. Was mir allerdings sehr eindrücklich wurde ist, wie Ärzte mit PatientInnen umgehen, deren Symptome sie nicht verstehen und nicht einordnen können: "Das ist psychisch. Machen Sie Urlaub. Sie brauchen Ruhe. Regen Sie sich nicht so auf!" 

Auch gut gemeinte Tipps von Freunden und Freundinnen - manche wurden hier auch aussortiert... - und Unverständnis als auch die Tendenz sich lustig zu machen waren Wegbegleiter in den letzten 7 Monaten. Am schlimmsten war für mich allerdings die Tatsache zu spüren, dass etwas nicht stimmt und in dem nicht ernst genommen zu werden, allen voran von den Ärzten. In dem Moment in dem ein Arzt einem das Etikett "psychosomatisch" umgehängt hat wird man belächelt und von oben herab betrachtet. 

Mein Appell und mein Wunsch ist es mit diesem Beitrag wachzurütteln: TSH-Werte steigen oder sinken übrigens oft erst nachdem schon konkrete körperliche und psychische Symptome vorhanden sind. Nehmen Sie sich selber ernst und wichtig! Lassen Sie sich nicht einreden, dass sie irgendeine Form von psychischer Erkrankung haben, solange nicht sämtliche körperliche Parameter abgecheckt sind. Nehmen Sie sich wichtig und nehmen Sie nicht jede "psychosomatische" Diagnose an, nur weil Ärzte nicht über den Tellerrand schauen oder sich zu wenig auskennen. Tauschen Sie sich mit anderen Menschen aus - das war meine Erkenntnis, wie viele andere Betroffene es gibt! - und erkennen Sie, dass sie nicht alleine sind. Es ist immer jemand da, den es interessiert, wie es Ihnen geht und dem Sie wichtig sind … allerdings sind es vermutlich nicht primär die Ärzte! 

 

Woher weiß ich, was mir gut tut?

Gerade in den letzten Wochen habe ich mich vermehrt mit der Frage beschäftigt, was mir gut tut. Zum einen aus der persönlichen Notwendigkeit heraus, zum anderen weil diese Frage auch in meiner Praxis immer wieder vorkommt. Woher weiß ich denn, was mir gut tut? 

Grundsätzlich ist es ein recht einfacher und lapidar dahin gesagter Input einfach zu tun, was gut tut. Problematisch wird es jedoch, wenn nicht gewusst wird was das denn nun sei. Viel zu oft sind wir dermaßen sozialisiert, dass es darum geht Wünsche zu erfüllen, sich anzupassen und außenorientiert zu agieren. Viele Menschen verlieren den Kontakt zur eigenen Befindlichkeit und zum eigenen Spüren, was sich gut anfühlt. Und genau hier ist der Ansatzpunkt um den es geht: über die Fühl- und Spürebene zu sich selber zu finden!

Gerade in psychotherapeutischen Herangehensweisen kommt das körperliche Wahrnehmen oftmals zu kurz. Es wird reflektiert: nach vorne, nach hinten, in alle Richtungen um sich womöglich dann doch wieder mit den Gedanken im Kreise zu drehen. So geht es nicht weiter, so stehen wir üblicherweise sogar an. Meine persönliche Erfahrung - beruflich als auch privat - ist es jedoch mit dem eigenen Kontakt aufzunehmen und hinzuspüren, was sich denn nun gut anfühlt und mehr ins Wahrnehmen zu kommen. 

Wie macht man das denn nun aber? Grundsätzlich haben wir alle diese Fähigkeit mitbekommen, oftmals aber im Laufe der Zeit abgelegt. Das impliziert aber gleichzeitig, dass wir wieder zurückfinden können zu diesem Spüren. Ein ganz einfacher und leicht umzusetzender Ansatz ist es, immer wieder im Laufe des Tages wahrzunehmen: wie geht es mir gerade? Bin ich müde, bin ich zufrieden, oder bin ich vielleicht einfach genervt? Bin ich körperlich angespannt? Wie verläuft mein Atem? Kann ich spüren, wie ich auf meinem Sessel sitze oder beim Gehen den Kontakt mit dem Boden wahrnehmen?

Es sind also die ganz alltäglichen Tätigkeiten, die uns mit uns selber in Kontakt bringen. Heute hat das oft das Etikett der "Achtsamkeit" umgehängt, was aber letztlich nur bedeutet dass unsere Aufmerksamkeit im Jetzt auf das momentane Tun gerichtet sein soll bzw. es hilfreiche wäre dermaßen vorzugehen. Die Begrifflichkeit der Achtsamkeit(spraxis) wird zugegebenermaßen in den letzten Jahren sehr gehypt und oft aus dem Kontext des tatsächlichen Verständnisses herausgespalten. Dennoch ist der Ansatz ein sehr hilfreicher, da wir darüber wieder vermehrt mit uns in Kontakt treten können und das Spüren des eigenen praktizieren und üben können.

Dementsprechend ist das Ziel wohl zu formulieren als "es ist gut zu wissen, womit ich gerade beschäftigt bin". Sei dies im faktischen Tun oder auf der gedanklichen Ebene. Weil gerade auf der Ebene sind wir oftmals fernab unseres tatsächlichen Aufenthaltsortes.

 

Über Beziehungen und (wichtige) Kontakte

 

Mit wem oder womit verbringen wir eigentlich unsere Zeit? Grundsätzlich ist es wohl so, dass der Durchschnittsbürger einer Arbeit nachkommt und somit den Großteil seiner Lebenszeit - zumindest ab einem gewissen Alter - mit Kollegen, Chefs und Kontakten aus der Arbeit verbringt. Je mehr Bedeutung und Gewicht dem Arbeitsfeld zugesprochen wird, umso mehr Fokus bekommt auch dieser Bereich. Forderungen des Arbeitgebers, grundsätzliche gesellschaftspolitische Probleme wie das "gefühlte mögliche Verlieren" des Arbeitsplatzes als auch der persönliche Anspruch an sich selber führen dazu, dass immer mehr Energie in das Arbeitsfeld gesteckt wird und persönliche Beziehungen hintenan gestellt werden.

 

Soll das tatsächlich so sein? In der Erforschung von Burn-out-Erkrankungen und Erschöpfungsdepression gibt es vielerorts die Theorie, dass das Hauptproblem weniger in dem Zuviel von Arbeit sondern eher in dem Zuwenig von Beziehung zu suchen und zu finden ist. Tatsächlich ist eine Überbetonung des Arbeitslebens ein wesentlicher Faktor, der dazu führt sich aus persönlichen Beziehungen zurückzuziehen, weniger Zeit und Energie zur Verfügung zu haben, um mit den Menschen zusammen zu kommen, die einem doch viel mehr am Herzen liegen (sollten) als die beruflichen Kontakte.

 

Vielerorts ist es gang und gäbe die Betonung auf die Arbeit als Hinweis für die persönliche Bedeutung zu reüssieren. Selbstwert wird vor allem von Männern über ihre berufliche Situation, ihren Status und Vermögen konstatiert. In den letzten Jahren jedoch - auch über die zunehmende Emanzipation der Frau - wird jedoch auch vom weiblichen Geschlecht mehr und mehr Bedeutung in den Bereich des Berufs und der beruflichen Selbstverwirklichung gelegt. 

 

Der Weg ist jedoch einsam. Berufliche Kontakte gehen oft nicht in die Tiefe. Sie bleiben oberflächlich und berühren nur die Ebene von Kosten-Nutzen-Rechnungen: Gibst du mir so geb ich dir. Absprachen und Handel - ausgesprochen oder unausgesprochen - sind oftmals Grundlage dieser Kontakte und somit bleibt die Begegnung ohne Tiefe. 

 

Diese Form von Kontakt und Begegnung hat einen wesentlichen Mangel: Ich sehe den anderen in seinem Wesen nicht. Der Mensch möchte wahrgenommen und gesehen werden, um sich in der Begegnung mit anderen selber begegnen zu können. Dies ist ein wesentliches Kernstück der existenzanalytischen psychotherapeutischen Arbeit und Philosophie. 

 

Aus diesem Grund ist es mir ein wesentliches Anliegen zum einen in meinen privaten und beruflichen Kontakten immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir Menschen dialogisch funktionieren. Oder um es mit Martin Buber zu sagen: "Alles wirkliche Leben ist Begegnung."